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artofholism: vorwort

Ein Essay von G.H. endet mit dem Satz – „Der Künstler schlief tief und fest in dieser Nacht“

(aus „Die ästhetische Relevanz von Gewürzsäcken“ ).

Was dort der Schlusssatz ist hier Ausgangspunkt meiner Überlegungen zum künstlerischen Oeuvre Herrmanns. Der tiefe Schlaf, der darin - bewusst - nicht einmal mehr wahrgenommene Traum, quasi als Pendant zur erdachten und planmetrisch realisierten Gestaltung an der Staffelei, im freien Phantasiereich des Bildes.

Die Umformung des realiter Existenten, des Materials in welcher Grundform auch immer, zum Vehikel der Vorstellungskraft, der Einbildung, der Phantasie an sich ist letztlich Bestandteil jeder künstlerischen Äußerung - jener Gerald Herrmanns im Besonderen. In seinen Arbeiten auf und mit Gewürzsäcken konzentriert sich Herrmann auf die Grunddeterminanten Struktur, Textur, Verwendungszweck und mit diesem in Zusammenhang stehender „Geschichte“ des Gegenstandes. Daraus resultiert ein eigenartiges Paradoxon.

Einerseits beläßt der Künstler das Ausgangsmaterial oftmals in seiner ursprünglichen Form, ja reduziert dieses geradezu noch, indem er die dreidimensionale Form des Behältnisses, des Sackes auseinanderschneidet und aufspannt in die ebene Fläche des Keilrahmens. Dieser Vorgang rückt das eigentliche Wesen des Materials in den Mittelpunkt der Betrachtung.

Andrerseits wird gerade dadurch der Blick des Betrachters auf Bestimmung und Geschichte des - ehemals gebrauchsbestimmten - nun zum Bildträger transformierten Gegenstandes fokussiert.

Auf diese Art und Weise entsteht auf der begrenzten Fläche des Bildes ein Kaleidoskop von Bildern, von Vorstellungen, von Befindlichkeiten unterschiedlichster Schicksale in größtmöglicher Extension, die jedoch im Ausgangsmaterial des Gewürzsackes ihren kleinsten gemeinsamen Nenner finden, gleichsam alle schemenhaft verwoben in der Textur des Materials.

Handelsübliche Aufdrucke fungieren als Wegweiser auf einer Reise durch Raum und Zeit; alle Grenzen scheinen überwunden, nichts hemmt mehr die Phantasie des Betrachters. Und wie der tiefe Schlaf die Wurzel jedes Traums, so wird das Bild zum Ausgangspunkt holistischer Daseinserfassung. Die Mauern des Ateliers, des Ausstellungsraumes werden negiert, feinste Gefilde „wo der Pfeffer wächst“ erreichbar, Vorstellungen von Schicksalen, von Düften und Geschmack des ehemaligen Inhaltes der Säcke erahnt, und vervollständigen unser imaginäres Bild vom Bild.

In der extremen materialen Reduktion entlässt uns der Künstler auf eine phantastische Reise größter Extension.

Einen weiteren Schritt im Umgang mit zweckentfremdetem Grundmaterial stellt die Einbettung in Gussharz dar.Herrmann „konserviert“ dabei den eigentlichen Bildträger durch die aufgebrachte Kunstharzschicht und verleiht ihm dadurch einen Aspekt der Beständigkeit, der Unvergänglichkeit. Gleichzeitig bewirkt das Harz eine gewisse Distanz zum Dargestellten und erzeugt eine geheimnisvolle Leuchtkraft durch Glanz und Tiefenwirkung.

Auch hier verbindet der Künstler in holistischem Sinne gegensätzliche Aspekte der Zeit, wie auch der Funktion. Einfach hergestelltes, auf kurzzeitigen Gebrauch hin ausgelegtes, quasi „niedriges“ Material wie Sackleinen wird vom transzendent durchschimmernden Bewahrungscharakter des Harzes ummantelt. Das „Niedrige“ wird gleichsam erhöht und letzten Endes „nobilitiert“ zum erhabenen Gegenstand.

Die Bilderreihe „Herz in Harz“ stellt so gesehen einen Kulminationsaspekt dar, aus Wertvollem - das Herz als Zentrum des Lebens - in Wertvollem.

Die holistische Ausrichtung Herrmanns zeigt sich aber am stärksten in der breiten Fächerung seiner künstlerischen Äusserungen. Er bewegt sich auf dem Gebiet der Sprache ebenso wie im Bereich der Philosophie, setzt reduzierte Abstraktionen ebenso ins Bild wie Gegenständlichkeiten, erreicht mit seinen Werken den Erwachsenen ebenso wie Kinder.

Der aufmerksame Durchblätterer dieses Gesamtkataloges von Herrmanns Werken wird dieser holistischen Leuchtspur daher auch kaum entgehen.

02 schmidhuber

 

 

Dr. Helmut Schmidhuber
Vorstand der Instituts für Kunstgeschichte, Universität Salzburg
Salzburg, März 2000

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