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the fine hearts: vorwort

Vorwort

Wenn wir mit Wittgenstein (Bemerkungen über die Farben §293) davon ausgehen, "daß die Begriffe der Menschen zeigen, worauf es ihnen ankommt und worauf nicht", so gelangen wir zur Ansicht, daß wir in vielen (wenn auch nicht in allen) Fällen des Umgangs mit Kunst diese im wesentlichen als ökonomische Gegebenheit auffassen, daß unser Begriff von Kunst also in unsere weitgehend ökonomische Lebensform eingebettet ist. Dies zeigt sich etwa in folgenden Symptomen:

(i) Der Wert von Kunstwerken wird oft an ihrem Preis gemessen. Dies zeigt sich einerseits an der Explosion der Kunstpreise (die freilich primär ein Zeichen dafür sind, daß Kunst als "Wertanlage" geschätzt wird), vor allem aber darin, daß Kunst immer wieder nach ihrem Preis ästhetisch bewertet wird. Die Liste der 100 teuersten Künstler wird nur allzu leicht mit einer Liste der 100 besten Künstler verwechselt.

(ii) In vielen Fällen, in denen von Kunst die Rede ist, richtet sich das Interesse nicht auf diese selbst, sondern auf Händler, Sammler, Stars und andere Wesen, die sich auf dem Marktplatz tummeln. So regt sich z.B. mitunter sommers in Salzburg der Verdacht, daß eben dies mit Musikbegeisterung verwechselt wird.

(iii) Wie mitunter beklagt wird, wechseln in neuerer Zeit Stile einander viel rascher ab als etwa noch in der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts. Dies ist indes weniger ein Phänomen der Kunstentwicklung als ein Ergebnis des Umstandes, daß Spielarten der Kunst auf dem Markt miteinander ähnlich konkurrieren wie Waschmittelmarken. Es geht also auch diesbezüglich nicht um ihren Kunstwert, sondern um ihren Marktwert.

(iv) Besonders auffällig ist das Wuchern von Festspielen, Museen und Großereignissen, die auf das Anziehen großer Besucherscharen ausgerichtet und oft mit einer entsprechenden Verkaufs-Infrastruktur verbunden sind. Dabei geht es primär um den Konsum von Kunst. Dieser schließt nicht aus, daß die Kunst dabei als solche zur Geltung kommt, doch ist oft genug der Fall, daß wir Kunst konsumieren, ohne sie wahrzunehmen bzw. ohne zu verstehen, warum sie von jemandem genau so geschaffen worden ist.

(v) Als Konsumenten haben wir Erwartungen an die Ware, die wir kaufen, und wir glauben, ein Recht auf Produkte zu haben, die unseren Erwartungen entsprechen, sei es, daß sie unsere psychischen Bedürfnisse erfüllen, sei es, daß sie uns gefallen, daß sie hinreichend leicht verständlich sind, daß wir für den bezahlten Preis genug davon bekommen, usw. Aus ästhetischer Sicht könnte dagegen z.B. die Aufführung der 4’33" von Cage für ein Konzert ebenso genügen wie ein leerer Raum für eine Ausstellung.

(vi) Ein weiteres Symptom für den ökonomischen Hintergrund unseres Umgangs mit Kunst ist der Zwang zur Wiederholung und zur Kopie, der sich mit dem Erfolg von Werken einstellt. Dieser Entwicklung verdanken wir z.B. nicht nur Ausstellungsserien, sondern auch ganze Serien von Fernsehserien (auch über Kunst), sowie eine Serienschaltung erfolgreicher Themen in Kunstzeitschriften.

(vii) In diesem Zusammenhang ist auch an die Musealisierung unseres Umgangs mit Kunst zu denken, d.h. daran, daß Kunst in erster Linie in "Musentempeln" (in Museen, Galerien, Konzertsälen usw.) ausgestellt bzw. aufgeführt wird. Wir erwarten, daß Kunst auf eine Weise präsentiert wird, durch die sie klar als solche erkennbar ist - auf daß sie uns nicht zu nahe komme. Um in ihrem Kunstwert zur Geltung zu kommen, ist indes notwendig, daß die Kunst in unser Leben eingreift.

(viii) Wie Adorno betonte, führt die Kunst stets ein "Doppelleben" insofern, als sie gleichzeitig ein autonomes ästhetisches Gebilde und eine "soziale Tatsache" (und dadurch in gesellschaftliche Zusammenhänge eingebunden) ist. Die Wertvorstellungen der Konsumwelt führen jedoch oft dazu, daß an der Kunst das vernachlässigt oder übersehen wird, was sie erst zur Kunst macht, nämlich ihr Kunstwert. Der Umstand, daß ein Werk z.B. in einem Museum ausgestellt wird, bedeutet noch nicht, daß es dort auch als Kunst-Werk, d.h. als ästhetisches Gebilde, zur Geltung kommt.

(ix) Schließlich ist auch die Vorstellung weit verbreitet, daß wir mit Kunstwerken, die wir käuflich erworben haben, tun können, was wir wollen. Dies zeigt sich etwa darin, daß der Besitzer zweier Gemälde von van Gogh diese mit ins Grab nehmen wollte, ebenso aber auch im bedenkenlosen Einfärben alter Filme.

Diese Betrachtungen sind nicht als Klage zu verstehen, sondern als Diagnose eines häufig anzutreffenden Umgangs mit Kunst, der demzufolge kein ästhetischer ist, sondern ein ökonomischer - was auch bedeutet, daß diesem Umgang ein nicht-ästhetischer Begriff von Kunst zugrunde liegt (wobei auch noch andere außerästhetische Möglichkeiten bestehen, mit Kunst umzugehen). Es lassen sich sehr wohl auch Gründe angeben, die für diesen Umgang mit Kunst sprechen bzw. ihn zumindest auf plausible Weise erklären können. Wenn wir versuchen, die Frage zu beantworten, worin ein ästhetischer Umgang mit Kunst (ebenso wie mit anderen "Dingen des Lebens") besteht, müssen wir freilich einerseits festhalten, daß es dabei nicht um die geschilderten Einstellungen geht, sowie andererseits bestimmen, wodurch sich eine ästhetische Sicht der Dinge auszeichnet.

Wie bereits Aristoteles in seinen verschiedenen Definitionen des "Schönen" festgestellt hat, besteht ein ästhetischer Umgang mit Kunst (bzw. allgemein mit den "Dingen des Lebens") primär darin, daß wir die Gegenstände unserer Wahrnehmung möglichst aufmerksam wahrzunehmen versuchen, daß wir die verschiedenen Verhältnisse der Elemente dieser Gegenstände zueinander und zum Ganzen betrachten und daß wir wir sie primär für sich selbst betrachten und schätzen. In Wittgensteins Worten können wir den ästhetischen Umgang mit Kunst auch so kennzeichnen, daß wir bereit sind, sie (ebenso wie andere "Dinge des Lebens") "gut aufzunehmen". Zu dieser guten Aufnahme von Kunstwerken (ebenso wie von Menschen und anderen natürlichen Wesen) gehört nicht nur, daß wir uns ihnen mit Achtung und Aufmerksamkeit widmen, sondern auch, daß wir wir uns Zeit für sie lassen und sie dadurch auf uns wirken lassen.

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Dr. Otto Neumaier
Salzburg, 2001

03 fine hearts neumaier

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